Wenig Einfluss, wenig Beteiligung?

IAT Diskussionspapier zur Altenpflege zeigt Ansatzpunkte für mehr Mitbestimmung im digitalen Wandel

Die Mehrheit der Betriebsrät*innen und Mitarbeitervertreter*innen in der Altenpflege ist grundsätzlich positiv gegenüber digitalen Technologien eingestellt. Die Teilnehmenden einer Befragung, die das im Wissenschaftspark Gelsenkirchen ansässige Institut Arbeit und Technik (IAT/Westfälische Hochschule Gelsenkirchen) durchgeführt hat, sehen die Digitalisierung als wichtiges Thema und erwarten, dass Digitalisierung in ihrer Einrichtung künftig weiter an Bedeutung gewinnen wird. Doch nur rund 30 Prozent der befragten betrieblichen Interessenvertretungen positionieren „Digitalisierung“ als strategisches Thema ihrer Gremienarbeit.

Mehr digitale Technik soll in der Altenpflege Arbeitsbedingungen und Versorgungsqualität verbessern. Die betriebliche Mitbestimmungspraxis in diesem Kontext ist bislang jedoch unerforscht. In diese Lücke zielte die Befragung von Betriebs-, Personalrät*innen und Mitarbeitervertreterinnen des Instituts Arbeit und Technik. Erste Ergebnisse präsentiert ein soeben veröffentlichtes Discussion Paper. Die Themenfelder der Erhebung reichten von der Perspektive betrieblicher Interessenvertretungen auf Digitalisierung allgemein und in Bezug auf die Altenpflege im Besonderen über Praktiken betrieblicher Mitbestimmung und Arbeitsbeziehungen bis hin zu digitalisierungsrelevanten Betriebsvereinbarungen. Zudem wurden Strategien der Informations- und Wissensaneignung der Zielgruppe und ihre Perspektive auf künftige Herausforderungen erhoben.

Einführung digitaler Technik

Mehr als zwei Drittel der Befragten waren nicht informiert, ob ihre Einrichtung Mittel zur Anschaffung digitaler Technik im Rahmen des Pflegepersonal-Stärkungs-Gesetzes (PpSG) abgerufen hat. Drei Viertel der Befragungsteilnehmer*innen geben an, dass das Verhältnis zum Arbeit- bzw. Dienstgeber – wenn es um die Einführung digitaler Technik geht – kooperativ oder wenigstens lösungsorientiert ist. Für ein Viertel gilt somit aber auch, dass das Verhältnis als wenig lösungsorientiert und eher konfrontativ empfunden wird. Rund 73 Prozent der Befragten geben an, dass ihre Gremien „nie“ oder nur „gelegentlich“ eigene Vorschläge für neue oder die Verbesserung bestehender Anwendungen machen. Insgesamt sind betriebliche Interessenvertreter*innen eher skeptisch, ob sie die Einführung digitaler Technik beeinflussen können. Etwa 39 Prozent bezeichnen ihren Einfluss als „gering“, 49 Prozent als „mittel“. Als größte Herausforderungen werden die Entwicklung der digitalen Kompetenzen der Mitarbeiter*innen sowie die Anpassung der Technik an deren Bedarfe genannt. In den Altenheimen sind das allerdings aktuell nicht die wichtigen Themen – hier steht, neben der technischen Grundausstattung, vor allem die Verbesserung der Abläufe durch neue Geräte bzw. Anwendungen auf der Tagesordnung. Strategien und Instrumente zur Mitarbeiterbeteiligung sehen derzeit nur wenige Befragte als wichtiges Handlungsfeld. „Zeit und personelle Ressourcen für die Wissensaneignung fehlen oft – und erschweren eine mitbestimmte Digitalisierung in der Altenhilfe erheblich“, so IAT-Projektleiterin Michaela Evans, Direktorin des Forschungsschwerpunkts Arbeit und Wandel am IAT.

Mit Blick auf die unterschiedlichen Gremientypen fällt auf, dass Mitarbeitervertretungen ihren Einfluss auf betriebliche Digitalisierungsprozesse zwar insgesamt schwächer einschätzen, allerdings gibt auch ein geringerer Prozentanteil von ihnen an, dass sie nicht rechtzeitig über die Anschaffung neuer digitaler Lösungen in ihrer Einrichtung informiert werden (im Vergleich zu Betriebsräten). Die Wissensaneignung betrieblicher Interessenvertretungen erfolgt primär über kollegiale und informelle Wege, demgegenüber spielen Schulungen/Seminare derzeit eine untergeordnete Rolle. Rund 40 Prozent der Befragten geben hier an, dass Schulungen/Seminare derzeit weder erfolgt noch geplant sind.

Ansatzpunkte für mehr Mitbestimmung

Das Discussion Paper zeigt eine Reihe von Chancen für die Mitgestaltung der Digitalisierung für die Altenpflege durch betriebliche Interessenvertretungen auf. Es werden Ansatzpunkte skizziert, wie eine zukunftsfähige Weiterentwicklung der Mitbestimmung in der Altenpflege angegangen werden kann. Dazu zählen vor allem die Ausweitung des Schulungsanspruchs betrieblicher Interessenvertretungen, der Nachweis der Beteiligung betrieblicher Interessenvertretungen bei öffentlich geförderten digitalen Innovationsprojekten, mehr Information zu den Möglichkeiten prozeduraler Betriebsvereinbarungen sowie die Etablierung projektbegleitender Kompetenzentwicklungsangebote für betriebliche Interessenvertretungen.

Die Untersuchung wurde im Rahmen des BMAS/ESF-Projektes „DIALOGSPLUS – Branchendialog in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft in digitalisierten Arbeitswelten“ (2018/2019) durchgeführt[1]. Das Projekt wurde im ESF-Programm „Fachkräfte sichern: weiter bilden und Gleichstellung fördern“ gefördert. Das Institut Arbeit und Technik (IAT) war für die wissenschaftliche Konzeption und Begleitung des Projektes zuständig, Partner waren das Bildungswerk ver.di Niedersachsen e.V., Region Osnabrück, sowie das BiG – Bildungsinstitut im Gesundheitswesen gGmbH (Essen).

>:https://www.iat.eu/discussionpapers/download/IAT_Discussion_Paper_20_05.pdf

 

Quelle: IAT-Pressemeldung vom 17.08.2020


[1]https://www.iat.eu/forschung-und-beratung/projekte/2018/dialogsplus-branchendialog-in-der-gesundheits-und-sozialwirtschaft-in-digitalisierten-arbeitswelten.html

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